Ziel war es eine Prognose der Ressourcenauslastung unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen zu erstellen.
Diesbezüglich wurde die Hilfsfristerreichung als Vergleichsparameter herangezogen und die Auswirkungen verschiedener Szenarien darauf getestet.
Für weitere Informationen und insbesondere Limitationen zum Modell wird auf folgende Arbeit hingewiesen: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33808033/
Hinweis: Die Leitstelle Tirol verwendet eine einsatzbasierte (unabhängig davon wie viele Mittel zu einem Einsatz entsandt werden), der Rettungsdienst Tirol eine dispositionsbasierte (jedes Rettungsmittel wird gezählt) Zählweise
Die Einsatzsteigerung im gesamten Rettungsdienst Tirol 2017 - 2023 beträgt 15.11%, das entspricht einer jährlichen Steigerung von 2.37 %
Die Einsatzsteigerung im grösstmöglichen Zeitraum (2012- 2023) im gesamten Rettungsdienst Tirol beträgt 46.51%, das entspricht einer jährlichen Steigerung von 3.53 %
Für die Prognose wurden die gegenwärtigen Einsätze herangezogen und auf Basis einer historischen Einsatzsteigerung (3.2% p.J.), sowie der demographischen Entwicklung (1.75% p.J.) ein jährliches Einsatzwachstum generiert. Dieses wurde gleichmässig bis 2030 verteilt.
Für das Sampling wurde eine zufällige, gewichtete Stichproben gezogen (Gewichtung historischen Prioritäten, EInsatzorten, Einsatzzeitpunkten)
Für die demographische Entwicklung wurde der Anteil der ab 65-Jährigen 2022 an der Gesamtbevölkerung und deren Einsatzanteil herangezogen. Es wird davon ausgegangen, dass wenn der Anteil der ab 65-Jährigen zunimmt, auch deren Einsatzanteil 2030 entsprechend zunehmen muss.
Bevölkerung Gesamt | ab 65-Jährige | Einsätze ab 65-Jährige | |
---|---|---|---|
2022 | 177.659 | 35.041 | 13.402 |
2030 | 183.208 | 42.711 | 13.402 / 35.041 * 42.711 |
Bevölkerung Gesamt | unter 65-Jährige | Einsätze unter 65-Jährige | |
---|---|---|---|
2022 | 177.659 | 142.618 | 14.085 |
2030 | 183.208 | 140.497 | 14.085/ 142.618 * 140.497 |
Die Entwicklung der Gesamteinsätze bis 2030 (Einsatzjahr 2029) wurde wie folgt berechnet:
\[\begin{align*} n_{2030} = n_{2022} \cdot (1+w_j)^7 \end{align*} \\n_{2030} = Gesamteinsätze 2030 \\n_{2022} = Gesamteinsätze 2022 \\w_j = Jährliches Wachstum\]
Anhand der Simulation zeigt sich, dass bereits ab dem 2. Jahr (Simulationsjahr 2024) eine deutlich Diskrepanz bei der Hilfsfristerreichung zwischen historischem Szenario und demographischem Szenario entsteht.
Die Hilfsfristerreichung bis zum Jahr 2030 (Einsatzjahr 2029) liegt im Szenario mit historischem Einsatzwachstum bei 77.43 %
Die Hilfsfristerreichung 2030 (Einsatzjahr 2029) liegt im Szenario mit der demographischen Entwicklung bei 81.08 %
Die zusätzliche Inbetriebnahme von RTW (+35% Aufstockung) sorgt lediglich für ein temporäres Anheben der Hilfsfrist, nicht aber für eine Umkehr des Trends. Etwa nach 4 Jahren erscheint in der Simulation der Effekt einer Verbesserung der Hilfsfrist verpufft (Simulationsjahr 2027).
Hinweis: Alle Simulationen wurden OHNE Notarztmittel & First Responder gerechnet. Der Einsatz von Notarztmittel zur reinen Verbesserung der Hilfsfrist erscheint aus ökonomischer Sicht nicht zielführend. Aus den historischen Daten zeigt sich derzeit ein äusserst geringer Effekt von First Respondern auf die Hilfsfristverbesserung.
Die Hilfsfristerreichung (15min) sämtlicher 18’455 A1-B1 -Ereignisse beträgt 77.4%.
Für diese Variante wurde eine lineare Steigerung von 1.8% / Jahr herangezogen.
Die Hilfsfristerreichung (15min) sämtlicher 16’822 A1-B1 -Ereignisse beträgt 81.1%.
Für die vorliegende Arbeit wurden zwei Alternativszenarien erstellt, die gegenwärtig auch in der Praxis des österreichischen Rettungsdienstes umgesetzt werden.
Einerseits werden dabei Rettungsmittel aufgestockt und die daraus resultierenden Effekte berechnet. Wie bereits angemerkt werden dabei Notarztmittel nicht berücksichtigt, was als technische Limitation betrachtet werden muss. (NEF erhöhen die Hilfsfristerreichung um 0.6%)
Andererseits sollte der Effekt einer Reduktion nicht indizierter Notarzteinsätze abgebildet werden. Diesbezüglich werden sowohl Notarztmittel als auch RTW berücksichtigt.
Ressourcenaufstockung RTW + 35%
Die Ressourcenaufstockung erfolgt üblicherweise auf Basis von Einsatzorten/Einsatzanzahl wo derzeit eine schlechte Hilfsfristerreichung gegeben ist.
Unter Berücksichtung einer schlechten Hilfsfristerreichung wurden für die Simulation 3 zusätzliche Rettungsmittel (24/7) in Betrieb genommen.
Dafür wurden die Standorte Kramsach, Kössen, Brixental ausgewählt, da womöglich dort die deutlichsten Effekte in der Simulation zu erwarten sind.
In der Realität wurde am Standort Kufstein im Jahr 2022 (ab Herbst) tatsächlich ein zusätzlicher RTW in Dienst genommen, welcher für die Simulationsprognose fortan ganzjährig geführt wird.
Es ergibt sich vereinfacht gerechnet eine mindestens 35%-ige Zunahme an RTW in der Region als Ausgangslage für die Simulation.
Simulation für 2023 | 3 zusätzliche 24/7 RTW 2023 | Entwicklung | |
---|---|---|---|
Hilfsfristrelevante A - B1 Einsätze | 84.2 % | 88 % | + 3.8 % |
Fachgesellschaften wie die ÖGARI und die AGN kritisieren seit längerem die “nicht indizierte” Nutzung von Notärzt:innen. Diesbezüglich konstatieren Prause et. al. (2020):
Von allen Alarmierungen wurden 2842 (18%) Einsätze der Kategorie I, 7371 (47%) Einsätze der Kategorie II sowie 5518 der Kategorie III (35%) verzeichnet. Würde man das Anlegen einer Venenverweilkanüle und Applikation einer Infusion auch als nichtärztliche Maßnahme einstufen, würde sich der Anteil derartiger Einsätze (Kategorie III – kein Arzt erforderlich) schon auf etwa 50% erhöhen
[…] Der Notarzt ist oftmals Ersatz für fehlende Infrastrukturen (Hausärztemangel) bzw. Ausbildungsdefizite im Rettungsdienst.
Kategorie 1 = Notärztliche Massnahmen (u.a. Atemwegsmanagement, Beatmung, CPR etc.) , Kategorie 2 = medizinische Massnahmen (EKG, Venöser Zugang, Analgosedierung, Kategorie 3 = keine medizinischen Massnahmen (u.a. Sanitätshilfe).
In der Simulation wird deshalb hypothetisch angenommen, dass 50 % der Einsätze im Jahr 2022 von Notarzteinsatzfahrzeugen nicht erforderlich sind und deshalb deren Alarmierung gestrichen.
Die Reduktion der Notarzteinsätze führt in der Simulation zunächst zu einer Verschlechterung der Hilfsfristerreichung.
Unter ökonomischen und qualitativen Gesichtspunkten ist es jedoch kaum sinnvoll Notarztmittel mit der reinen Intention einer Verbesserung der generellen Hilfsfrist zu entsenden.
Hinsichtlich der Einsatzqualität liefert die zeitliche Gegenüberstellung aller Notarzteinsätze zu den als Reanimation (die Annahme hierbei ist, dass A1 - REA Codes eine hohe Treffsicherheit aufweisen) gekennzeichneten Einsätze einen Hinweis darauf, dass wenn Notarztmittel grosszügig entsandt werden, dabei auch die Gefahr entsteht, dass sie gerade für tatsächlich notwendige Einsätze (Reanimationen) nicht zur Verfügung stehen können. Die meisten A1 Reanimation Codes werden zwischen 07:00 und 19:00 vergeben - in diesem Zeitraum finden insgesamt auch die meisten Notarzteinsätze statt. Es besteht also zumindest die nicht unerhebliche Gefahr, dass ein Notarztmittel für einen unnötigen Notarzteinsatz disponiert wurde und für einen notwendigen Einsatz dann nicht zur Verfügung stehen könnte.
Simulation 2022 | Simulation 50% weniger NEF Einsätze | |
---|---|---|
Hilfsfristrelevante A - B1 Einsätze | 85.1 % | 84.4 % |
Von der Initiative Zukunft-Rettungsdienst.at wurde ein Vorschlag zur Aufwertung der Ausbildung bei gleichzeitigem Erhalt der für den Rettungsdienst als zentral erachteten Komplementäraspekte des Ehrenamts und Zivildienstes vorgelegt. Die vorliegende Betrachtung beschränkt sich auf die Ausbildung zum/zur Diplomierte:n Notfallsanitäter:in, wenngleich mit den Ausbildungen zum/zur Rettungs- und Krankentransportsanitäter:in (RKS) ein niederschwelliger Einstieg (Ehrenamtliche, Zivildiener), und zum/zur Rettungssanitäter:in mit Notfallkompetenzen (RS-N) eine Weiterentwicklungsmöglichkeit auch für ehrenamtliche Mitarbeiter:innen geschaffen wird.
Diplomierte Notfallsanitäter:innen übernehmen künftig gemäss ihres Kompetenzniveaus gemeinsam mit Patient:innen die Festlegung des weiteren Behandlungspfades, insbesondere was eine
Sanitätsdienstliche Versorgung (Behandlung & Belassung) vor Ort betrifft,
die eigenständige Versorgung von NACA 1 - 4 Einsätze und einhergehende Entlastung der vorhanden Notarztmittel,
eine Veränderung des Berufsbildes Sanitäter:in durch Verschränkung mit anderen Gesundheits- und Sozialdiensten,
eine Weiterentwicklung vom Transport- zum Gesundheitsdienstleister
Forschung in den Rettungswissenschaften zur Schaffung von Evidenz
Auf Basis einer besseren Versorgung durch Diplomierte Notfallsanitäter:innen besteht die Chance durch aktive Patient:innenlenkung
Ambulant Sensitive Krankenhausfälle als anderweitig zu versorgen,
Wiederholungseinsätze zu reduzieren,
neue Strategien bei Mehrfachnutzer:innen zu entwickeln,
bei Einsätzen mit psychosozialen Problemstellungen (Wohnungslosigkeit, Einsamkeit, Überlastung Pflegender Angehöriger, etc.) zu werden - Redelsteiner (2016): Aktuelle und künftige Anforderungen an das Gatekeeping im präklinischen Bereich. SK Verlag
Gries, Schrimpf und Von Dercks (2022) zeigen für eine Notaufnahme in Deutschland, dass rund 1/3 der Patient:innen durch RTW eingeliefert wird (weiter 11,6% mit NEF).
Werden für Österreich ähnliche Werte angenommen ergibt sich ein klares Potential in der Lenkung von Patient:innen durch qualifizierte diplomierte Notfallsanitäter:innen und das trotz einer hohen Zahl an Selbsteinweisungen.
Für die Bedarfsrechnung für Diplomierte Notfallsanitäter:innen werden drei mögliche Varianten vorgestellt. Einerseits kann eine erste oberflächliche Näherung dahingehend passieren, indem das gesamte derzeit aktive hauptberufliche Personal im Rettungswesen überführt wird.
Zweitens kann mit Blick auf das benachbarte Ausland (Bayern, Baden-Württemberg) deren Anzahl an Rettungswachen herangezogen werden.
Drittens, und zu bevorzugen, ist ein durch Geoinformationssysteme gestützter Prozess, um eine optimale Verteilung auf die bestehende Infrastruktur zu berechnen.
Eine zweite Näherung kann über den Vergleich mit einem Nachbarland passieren. Laut Stelle zur Trägerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst Baden-Württemberg werden in diesem Bundesland mit ~11 Mio. Einwohnern auf 35.000 km2 (Bevölkerungsdichte 316 EW/km2) 320 Rettungswachen mit knapp 500 Rettungswägen betrieben. Werden 6 VZÄ / Position auf einem RTW angenommen ergibt sich hierbei eine Anzahl von rund 3000 Notfallsanitäter:innen zur Besetzung einer Position.
Quelle: SQRBW.de
Das Institut für Notallmedizin und Medizinmanagement der Universität München schlüsselt die Vorhaltung an Rettungsmitteln im Rettungsdienstbericht Bayern 2023 nochmals genauer auf. In dem Bundesland mit ~13 Mio. Einwohner auf 71.000 km2 (190EW/km2) werden einzel RTW Wachen 290 + 134, sowie 41+ 11 + 8 Mehrfach RTW Wachen verzeichnet. Wiederum ergibt sich mit 6 VZÄ / Position auf 484 RTW ein Bedarf von ~3.000 Notfallsanitäter:innen zur Besetzung einer Position.
Aufgrund von Strukturunterschieden im Rettungsdienst, sowie geographischer Besonderheiten können auch diese beiden genannten Varianten lediglich als Orientierungshilfen für eine Bedarfsrechnung dienen. Es bedarf einer auf die österreichischen Gegebenheiten abgestimmte regionalen Planung.
Beide genannten Varianten berücksichtigen spezifische Gegebenheiten des österreichischen Rettungswesens unzureichend, weshalb für die Planung eines Personalbedarfs an Notfallsanitäter:innen ein Geoinformationssystem (GIS) basierter Ansatz favorisiert wird.
Gegenwärtig sind 506 Rettungsdienst Stützpunkte (RD), 124 Notarzteinsatzfahrzeug Stützpunkte (NEF) und 41 Rettungshubschrauber Stützpunkte (RTH) auf der Transparenzlandkarte des Bundesverbands Rettungsdienst verzeichnet.
Deren Standort und Organisationszugehörigkeit ist ebenso bekannt, wie eine 13 Minuten Fahrtzeitradius (2 Minuten werden in der Regel als Ausrückzeit abgezogen)
Aufgrund sehr hohen Dichte an Rettungsmitteln und resultiert einerseits vor allem in ländlichen Regionen eine geringe Einsatzfrequenz, bzw. insgesamt ergibt sich eine geringe Frequenz an Notfallpatient:innen für den/die einzelne Sanitäter:in (laut Sanitätergesetz §10 Abs. 2 Notfallpatienten gemäß Abs. 1 Z 2 sind Patienten, bei denen im Rahmen einer akuten Erkrankung, einer Vergiftung oder eines Traumas eine lebensbedrohliche Störung einer vitalen Funktion eingetreten ist, einzutreten droht oder nicht sicher auszuschließen ist. Die bereits erwähnte Arbeit von Prause et. al zeigt demnach, dass der Rettungsdienstalltag selbst im Notarztdienst von Kategorie 2 (Medizinische Massnahmen) und Kategorie 3 (keine Medizinischen Massnahmen) dominiert wird.
Anwendungen/Jahr | Inzidenz / 100.000 EW | Inzidenz / Notarzt | |
---|---|---|---|
Notärztliche Massnahmen | 315 | 157.8 | 12.6 |
Medizinische Massnahmen | 819 | 409.5 | 32.8 |
keine Medizinischen Massnahmen | 540 | 306.6 | 24.5 |
Quelle: Prause, G., Orlob, S., Auinger, D. et al. System- und Fertigkeitseinsatz in einem österreichischen Notarztsystem: retrospektive Studie. Anaesthesist 69, 733–741 (2020). https://doi.org/10.1007/s00101-020-00820-8
Diplomierte Notfallsanitäter:innen finden ihr künftiges Aufgabenfeld sowohl in der eigenverantwortlichen sanitätsdienstlichen Versorgung von Notfallpatient:innen, als auch der Versorgung aller anderen Patient:innen (siehe Qualifikationsprofile RK-S, RS-N), die ihnen im Rettungsdienst begegnen. Sie sind demnach vorrangig auf Rettungsdienst Stützpunkten einzusetzen, mit dem Ziel der grösstmöglichen Versorgungswirksamkeit.
Viele Rettungsdienste in Österreich etablieren gegenwärtig sogenannte abgestufte Versorgungsmodelle, indem geographisch gut gelegene und hinsichtlich der Einsatzzahlen stärker frequentierte Stützpunkte mit qualifiziertem Personal (zumeist ab Qualifikationsstufe Notfallsanitäter:in) mit entsprechender Ausstattung für höher priorisierte Notfälle vorgehalten werden. Zumeist werden hierbei zwischen 40-60% der bisherigen Stützpunkte herangezogen. An diesen Standorten wird üblicherweise ein Rettungsmittel als RTW-C vorgehalten und 24/7 an einer Position mit einem/einer Notfallsanitäter:in besetzt.
Aufbauend auf den Erkenntnissen der bestehenden Abdeckungsmodelle könnte ein Grossteil der Bevölkerung mit Diplomierten Notfallsanitäter:innen versorgt werden, wenn 60% der Stützpunkte herangezogen werden. Untenstehend findet sich beispielhaft eine Auswahl an Stützpunkten. Weiterführende Optimierung der Standorte kann mittels mathematischer Modelle (Location-Allocation, Maximum Coverage Location Problem) erreicht werden.