Diese von der Arbeiterkammer Wien beauftragte Studie dient als Grundlage für eine strategische Analyse zur Ermittlung des Personalbedarfs für höher qualifiziertes Rettungspersonal
Dafür wurden vom Rettungsdienst Tirol pseudonymisierte Einsatzdaten (GPS Koordinaten auf >100m vergröbert & personenbezogene Daten entfernt) für die Versorgungsregion 73 (Nordost Tirol) aus dem Jahr 2022 zur Verfügung gestellt.
Diese Analyse bezieht sich explizit auf Einsätze im Rettungsdienst UND NICHT den geplanten Krankentransport.
Diesbezüglich hat Tirol flächendeckend eine generelle Trennung zwischen Rettungsdienst und Krankentransport umgesetzt.
Zunächst erfolgt eine deskriptive Analyse der Einsatzdaten, die als Grundlage für die weiterführende Simulation dient.
Die eingesetzten Modelle (Simulation der historischen Einsätze, Prognose und Alternativszenarien) sind IMMER Vereinfachungen der bzw. Näherungen an die Realität
Es erfolgt ausschliesslich eine Anlayse der in der Region vorhandenen Rettungsmittel der Kategorien Rettungswagen (RTW) und Notarzteinsatzfahrzeug (NEF). Für die Auswertung werden First Responder, Einsatzleiter, überbrückende Heranziehung von KTW, und die Luftrettung nicht herangezogen.
Um Effekte einer Massnahme (z.B mehr Fahrzeuge in Dienst nehmen) wird eine diskrete Ereignissimulation verwendet. Näheres zum Simulationsmodell: https://www.ost.ch/de/forschung-und-dienstleistungen/technik/wirtschaftsingenieurwesen/ims-institut-fuer-modellbildung-und-simulation/forschungsprojekte/rettungswesen
Die Wahl der Region Nordost Tirol erfolgte aufgrund österreichweit vergleichbarer demographischer Variablen (insbesondere Altersverteilung, Einwohnerdichte), eines einheitlichen Rettungsdienstes sowie einer externen Qualitätssicherung durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst.
2022 | Kufstein | Kitzbühel | Österreich |
---|---|---|---|
Einwohner | 111.999 | 65.274 | 9.104.772 |
EW/km2 | 115 | 56 | 109 |
Anteil ab 65-Jàhrige | 18% | 22% | 20% |
Hinweis: Die Leitstelle Tirol verwendet eine einsatzbasierte (unabhängig davon wie viele Mittel zu einem Einsatz entsandt werden), der Rettungsdienst Tirol eine dispositionsbasierte (jedes Rettungsmittel wird gezählt) Zählweise
Die Einsatzsteigerung im gesamten Rettungsdienst Tirol 2017 - 2023 beträgt 15.11%, das entspricht einer jährlichen Steigerung von 2.37 %
Die Einsatzsteigerung im grösstmöglichen Zeitraum (2012- 2023) im gesamten Rettungsdienst Tirol beträgt 46.51%, das entspricht einer jährlichen Steigerung von 3.53 %
Das Einsatzwachstum in der Region ist ähnlich wie das Gesamteinsatzwachstum massgeblich durch einen Rückgang während der Covid 19 Pandemie gekennzeichnet. Im darauffolgenden Jahr ergibt sich ein enormer Anstieg, der österreichweit vielerots zu beobachten ist.
Alle für den Rettungsdienst relevanten Einsätze in Tirol werden zentral über die Leitstelle Tirol (www.leitstelle.tirol) entgegengenommen und disponiert.
Dabei verwendet die Leitstelle folgendes Abfrage- und Dispositionsschema der NOAS GmbH - https://www.noas-gmbh.com/
Demnach sind in der Notfallrettung im wesentlichen die Ausrückorder A (Notarzteinsatz) und B (Rettungsdiensteinsatz) und die dazugehörige Einsatzkategorien von Relevanz.
Quelle: www.leitstelle.tirol
Total | |
---|---|
Dispositionen (=jede einzelne Entsendungen von Rettungsmittel NEF/RTW) | 30’582 |
Einsätze/Ereignisse (=Der tatsächliche Einsatz, unabhängig von der Anzahl der entsendeten Rettungsmittel) | 27’237 |
Hilfsfristrelevante Ereignisse (=A-B1 Einsätze) | 15’292 |
Alle Einsätze werden sowohl mit einer Ausrückorder (dh. Priorität), als auch mit einem Einsatzkategorie versehen.
Es werden hier nur die Einsätze (=Ereignisse) herangezogen, dh. wenn mehrere Rettungsmittel beteiligt waren zählt dies trotzdem lediglich als ein (=1) Einsatz.
Ereignisse mit hoher Dringlichkeit (Notarzteinsätze) bilden mit ~15% den geringeren Anteil am Einsatzgeschehen.
Die niedrigste Dringlichkeit B2 - RTW ohne Sondersignal wird als Ausrückorder am häufigsten vergeben.
Die Einsatzkategorie Anforderung ist mit 37% die am Häufigsten vergebene.
Die Einsatzstichworte laut NOAS geben eine grobe Orientierung, um welchen Alarmierungsgrund es sich handelt. Keinesfalls sind sie als abschliessende Diagnose zu bewerten.
Der Einsatzgrund ANFORD ist am häufigsten Vertreten. Hierbei handelt sich um eine Anforderung durch medizinisches Fachpersonal (z.B. Pflegekräfte, niedergelassene Mediziner:innen, Ersthelfer:innen, Bergrettung etc.)
Hinweis: Unter und können Sie . Damit werden ohne Mausklick automatisch Daten angezeigt.
Es zeigt sich, dass in (sub-)urbanene Regionen (Stützpunkte Kufstein, Kirchbichl, Wörgl, Kramsach) deutlich mehr Einsätze anfallen
In den Wintermonaten ist insbesondere bei B2 Einsätzen eine deutliche Zunahme durch den Tourismus zu verzeichnen.
Es gibt keine relevante Veränderung über die Wochentage hinweg
Bei der stündlichen Verteilung zeigt sich ein deutlicher Einsatzanstieg untertags zwischen 09:00 - 13:00, bei den höheren Prioritäten verlängert sich dieses Intervall deutlich, während es bei den B2 Einsätzen deutlich abflacht.
Laut Vertrag zur Besorgung des öffentlichen Rettungsdienstes in Tirol wurde festgelegt, dass der Einsatzort von 90% aller Einsätze (A-B1) eines Jahres innerhalb von 15 Minuten erreicht werden muss. https://aelrd-tirol.at/doku/AELRD_Taetigkeitsbericht_2022.pdf
Hierbei wird von der sogenannten Hilfsfristregel 90% / 15 Minuten gesprochen.
Die Hilfsfrist ist vereinfacht gesagt ein Versprechen an die Bevölkerung, dass im Notfall spätestens in 15 Minuten Hilfe vor Ort kommt.
Im wissenschaftlichen Diskurs steht die Hilfsfrist in der Kritik zu verallgemeinernd zu sein und ihre Relevanz für die medizinische Parameter (Überlebensrate, Intensivaufenthalt, Krankheitsdauer, etc.) ist umstritten. Weiterführend diesbezüglich https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27147831
Die Tabelle zeigt den Erreichungsgrad der Hilfsfrist, relevant sind nur die Einsätze aus A-B1.
Erreichungsgrad aus den Einsatzdaten | Hilfsfristerreichung inkl. First Responder | Erreichungsgrad in der Simulation | |
---|---|---|---|
Hilfsfristrelevant sind A - B1 Einsätze | 85.6 % | 86.4 % | 85.1 % |
Der Ärztliche Leiter Rettungsdienst weisst seit Jahren darauf hin, dass die Hilfsfrist sich zunehmend verschlechtert:
” […] dass in den Versorgungsbereichen Ost und West das Leistungskriterium Notfallrettung in keinem Kalendermonat und im Versorgungsbereich Süd nur in einem Kalendermonat (2021 waren es noch zwei) eingehalten wurde.” - AELRD Tirol Tätigkeitsbericht 2022, S. 51
Link: https://aelrd-tirol.at/doku/AELRD_Taetigkeitsbericht_2022.pdf
Die Karte inkl. entsprechender Tabelle zeigt die Hilfsfristerreichung und das 90%-Quantil der Ereignisse, an denen der jeweilige Stützpunkt beteiligt war.
Die Hilfsfristerreichung (15min) sämtlicher 15’292 A-B1 -Ereignisse beträgt 85.6%.
Die Hilfsfristerreichung Nachts (19:00 - 07:00) (15min) sämtlicher 5’559 A-B1 Ereignisse beträgt 84.8%.
Im Folgenden wird die Hilfsfristerreichtung pro Stützpunkt ausgewertet (Stützpunktebene = Ereignisse, an denen der jeweilige Stützpunkt beteiligt war).
Die nachfolgende Simulation stellt eine Vereinfachung der Realtität mit Näherung an diese dar.
Die Hilfsfristerreichung (15min) in der Simulation 15’292 85.1%.
Die Abweichungen der Simulation zu den historischen Einsatzdaten begründen sich in:
KTW die kurzfristig für RTW Einsätze herangezogen werden
First Responder / Selbstfahrer / RK Personal / Einsatzleiter die bei Einsätzen zur Verfügung stehen
Die Bedeutung von First Respondern (KTW sowie First Responder) ist in der Gegenüberstellung als gering zu betrachten. Den Hauptanteil zur Hilfsfristerreichung tragen die Rettungsmittel RTW & NEF bei.
Die Karte inkl. entsprechender Tabelle zeigt die HFE und 90%-Quantil der Ereignisse, an denen der jeweilige Stützpunkt beteiligt war.
Im Folgenden wird die Hilfsfristerreichtung pro Stützpunkt ausgewertet (Stützpunktebene = Ereignisse, an denen der jeweilige Stützpunkt beteiligt war).
Die Einsatzdauer ist von Alarmierung bis zur Abgabe am jeweiligen Zielort oder der vorzeitigen Beedingung des Einsatzes
Sie gibt Auskunft darüber, wie lange Rettungsmittel mit Einsätzen durchschnittlich gebunden sind und liegt im Mittel bei 50 Minuten
Es lässt sich ableiten, dass mit aufsteigender Priorität auch die Einsatzdauer steigt.
Bei A1 Einsätzen zeigt sich insbesondere eine viel stärkere Streuung, wenngleich diese den geringsten Anteil an den Gesamteinsätzen haben.
Stützpunkt | Anzahl Einsätze | Median [min] | 90%-Quantil [min] |
---|---|---|---|
Fieberbrunn (saisonal) | 106 | 38.9 | 66.7 |
Kössen | 528 | 50.1 | 72.5 |
Kirchberg (saisonal) | 84 | 48.2 | 70.3 |
Kirchbichl | 1419 | 39.7 | 62.1 |
Kitzbühel | 1342 | 43.7 | 67.2 |
Kramsach | 1375 | 51.0 | 73.1 |
Kufstein | 2140 | 34.8 | 57.0 |
NA Kitzbühel | 821 | 47.9 | 70.9 |
NA Kramsach | 514 | 51.9 | 69.9 |
NA Kufstein | 939 | 44.9 | 67.8 |
Söllandl | 897 | 42.2 | 63.2 |
St Johann/Tirol | 1426 | 39.0 | 66.8 |
Wörgl | 1587 | 41.7 | 65.0 |
Westendorf Brixental | 816 | 52.0 | 75.6 |
Die Stützpunktauslastung kann sowohl als Indikator für die Gesamtauslastung eines Rettungsdienstes, als auch für die Auslastungsverteilung betrachtet werden.
Es geht dabei um die Frage, welchen Anteil der gesamt möglichen Zeit eines Jahres (8766 Jahresstunden) die verfügbaren Rettungsmittel eines Stützpunktes mit Einsätzen ausgelastet sind.
Nicht inbegriffen ist jeweils die Rückfahrt eines Rettungsmittels zum Stützpunkt, da diese nicht konsistent in den Daten vorhanden ist. Generell gilt, je höher die Auslastung, desto weniger Zeit bleibt für Einsatzbesprechungen, Dokumentation, Aufbereitung des Fahrzeugs und Hygiene, Training und Weiterbildung, sowie die Besorgung der Grundbedürfnisse (Essen, Trinken, Toilettengang, Rast und Ruhezeit).
Es zeigt sich, dass hinsichtlich der Stützpunktauslastung teils sehr hohe Werte erreicht werden, so werden Rettungsmittel des RD Kufstein und RD Kramsach fast 50% der verfügbaren Gesamtzeit im Einsatz verbracht werden.
Die Stützpunktauslastung betrachtet nicht, wie viele Rettungsmittel ein Stützpunkt betreibt (z.B. auch um kurzfristig Spitzenauslastung abzudecken etc.)
Eine Auslastung der einzelnen Fahrzeuge konnte mangels Verfügbarkeit von Daten nicht durchgeführt werden
Knapp die Hälfte der Einsatzorte sind im Einsatzleitsystem mit einer Beschreibung hinterlegt. Hierbei handelt es sich um Pflegeheime, Arztordinationen, Gaststätten, Skilifte und alle sonstigen im Einsatzleitsystem eingepflegten Orte.U nbekannte Einsatzorte resultieren hauptsächlich aus privaten Wohnadressen.
Von den bekannten Einsatzorten (=ein Einsatzort wurde hinterlegt) sind Stationäre Betreuungseinrichtungen und Liftstationen die mit Abstand häufigsten Einsatzorte.
Auch beim Einsatzcode ANFORD, also der Anforderung durch medizinisches Personal sind es wiederum Stationäre Betreuungseinrichtungen und Liftstationen die am häufigsten alarmieren.
Es zeigt sich, dass in den Wintermonaten viel häufiger der Einsatzcode ANFORD vergeben wird.
Für die Wintermonate Dezember - März sind es etwa 600 zusätzliche Einsätze, die im Vergleich zum Rest des Jahres vergeben werden.
Dies ist auf den Tourismus zurückzuführen, dh. es kann davon ausgeangen werden, dass diese zusätzlichen Alarmierungen zu Skiliften hauptsächlich daher stammen. Der Rettungsdienst stellt in diesem Zeitraum auch deutlich mehr saisonale Rettungsmittel in Betrieb.
In der betrachteten Region befinden sich mehrere Stationäre Betreuungseinrichtungen (Kufstein: 14, Kitzbühel: 8)
Anhand der Einsatzcodes zeigt sich, dass hauptsächlich B2 Priorität, sowie das Einsatzstichwort ANFORD vergeben wurden.
Es wird für diese Auswertung davon ausgegangen, dass wenn Einsätze in Pflegeheime disponiert werden, diese auch mit der Zieladresse hinterlegt werden.
Die verfügbaren Daten zeigen ein stärkeres Gewicht auf Wochentage, bei der stündlichen Auswertung zeigt sich eine starker Anstieg ab 09:00 - 13:00 Uhr
In Pflegeheimen und Seniorenzentren wird die hauptsächliche pflegerische Arbeit am Vormittag erledigt. Hier erkennen Pflegepersonen am Besten den Zustand von Patient:innen und allfällige Veränderungen. Ärztliche Visiten sind hier sekundär, da diese teils lediglich unregelmäßig erfolgen. n.
Der adäquate Einsatz von Notärzt:innen erscheint insbesondere angesichts qualitativer Versorgungsargumente, aber auch ökonomischer Aspekte relevant.
So ist es nicht zielführend Notarztmittel rein zur Verbesserung einer Hilfsfrist einzusetzen, noch diese zur Versorgung von Patient:innen heranzuziehen, die nicht notärztlicher Behandlung bedürfen.
Bezüglich zeitlicher Dimension zeigt sich, dass Reanimationen einer ähnlichen zeitlichen Verteilung folgen, die insgesamt bei Notarzteinsätzen üblich ist (Mehrzahl der Einsätze findet tagsüber statt).
Anhand der Fahrzeiten zeigt sich, dass diese beim Einsatzstichwort Reanimation deutlich unter 10 Minuten liegen, es teilweise aber auch zu deutlich längeren Fahrtzeiten kommt.
Es bedarf weiterer Untersuchungen inwiefern sich entweder eine hohe Mobilität von Notarztmitteln oder eine hohe Verfügbarkeit auswirken.