16 Jun Sanitäter: Zukunftsberuf statt Lückenbüßer
In einer Veranstaltung der AK Wien in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Rettungsdienst und den Gewerkschaften am 8. Mai 2023 wurde deutlich, dass die Forderung nach einer Neugestaltung der Ausbildung von Vertreter:innen der Gewerkschaften, Rettungsorganisationen, Ausbildungsstätten, Sanitäter:innen und Ärzt:innen erhoben und mitgetragen wird.
In einer Veranstaltung der AK Wien in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Rettungsdienst und den Gewerkschaften am 8. Mai 2023 wurde deutlich, dass die Forderung nach einer Neugestaltung der Ausbildung von Vertreter:innen der Gewerkschaften, Rettungsorganisationen, Ausbildungsstätten, Sanitäter:innen und Ärzt:innen erhoben und mitgetragen wird.
Das Rettungswesen in Österreich steht nicht nur wegen der demographischen Entwicklung vor großen Herausforderungen. Denn in Bezug auf eine alternde Bevölkerung bei längerer Lebenserwartung ist die präklinische Versorgung gleich auf mehrere Arten betroffen. Die Einsätze werden immer mehr und herausfordernder. Gleichzeitig stagniert die Anzahl junger Sanitäter:innen, die nachrücken. Auch der Rettungsdienst steht deshalb mittelfristig vor einem Fachkräftemangel.
Plädoyer für eine Ausbildungsreform
Clemens Kaltenberger lud in seinem Beitrag dazu ein, das Berufsbild der Sanitäter:innen neu zu denken und damit innovative Antworten auf die wachsenden Herausforderungen an den Rettungsdienst zu finden. Denn gut ausgebildete Sanitäter:innen helfen dabei, dass Menschen rechtzeitig hochwertig versorgt werden und tragen daher auch zu einer Entlastung des Gesundheitssystem bei.
Notfallsanitäter:innen mit maximal 980 Ausbildungsstunden stellen in Österreich die höchste Qualifikationsstufe dar. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist die Ausbildungsdauer sehr kurz und ihre Qualifikation gering. Derzeit gibt es in Österreich auch keine Möglichkeit, sich wie andere Gesundheitsberufe facheinschlägig tertiär weiterzuentwickeln oder in andere Gesundheitsberufe zu wechseln, ohne dort wieder bei null anzufangen.
Laut Schätzungen sind derzeit rund 45.000 Sanitäter:innen aktiv. Seit 2012 wurden rund 100.000 Sanitäter:innen ausgebildet. Das bedeutet, dass in Österreich so viel ausgebildet wird, dass das komplette Personal im Rettungswesen alle 4-5 Jahre ausgetauscht ist. Die Ausbildung beträgt zwischen 260 und 980 Stunden und ist damit geringer als in anderen Gesundheitsberufen. Damit gelingt auch nicht die notwendige Durchlässigkeit, was Sanitäter:innen zu einem „Sackgassenberuf“ macht. Ohne eine Adaptierung in der Ausbildung, die Möglichkeiten schafft, gehen laufend Mitarbeiter:innen für das gesamte Gesundheitssystem verloren. Mit einem neuen Ausbildungskonzept könnten zahlreiche Anforderungen und Bedürfnisse abgeholt werden. Ausgehend von einer BOS-Basisausbildung im Umfang von 2 ECTS-Punkten erfolgt der Einstieg in den Krankentransport und Rettungsdienst als Rettungssanitäter:in mit 15 ECTS in einem ähnlich Ausbildungsumfang wie bereits jetzt. Neu wäre eine daran anschließende Ausbildung zum/zur diplomierten Notfallsanitäter:in mit insgesamt 180 ECTS (mit Abschluss Bachelor oder Bachelor Practitioner). Eine Matura zur Zulassung ist mit entsprechender Berufserfahrung dafür nicht zwingend notwendig.
Ein niederschwelliger Zugang für Zivildiener und Freiwillige wäre in diesem Vorschlag nach wie vor gegeben, ebenso wie die der Erhalt Notarzt-gestützten Systems; mit dem wesentlichen Unterschied, dass Notärzt:innen genau dort zum Einsatz kommen, wo notärztliche Kompetenzen gefordert sind und sie nicht länger die derzeit gegebene Ausbildungslücke kompensieren müssten.
Gezielter Einsatz von Notärzt:innen und flächendeckende Qualitätssicherung
Denn genau das sieht Helmut Trimmel von der ÖGARI als wesentliche Schwäche des aktuellen Systems: Österreich hat jetzt bereits die höchste Dichte an Notarztmitteln weltweit. Mit dem aktuellen Ausbildungsniveau von Sanitäter:innen müssen Notärzte auch zu Einsätzen ausrücken, in denen ihre Kompetenzen nicht vonnöten sind. Es braucht daher eine abgestufte und qualifizierte prähospitale Versorgungsstruktur nach bundeseinheitlicher Vorgabe samt Indikationskatalog zum Einsatz von Notärzt:innen. Denn nicht indizierte Einsätze und Stornos machen bereits jetzt über 50% aus.
Professor Trimmel plädiert deshalb auch, praktische Ausbildungszeiten von Sanitäter:innen als Zeit im Einsatz (und nicht Zeit in Bereitschaft) zu definieren, organisationsunabhängige Ausbildungseinrichtungen zu schaffen und insbesondere die klinische Erfahrung auszuweiten (Einbindung von Notaufnahmen und Ambulanzen). Auch in den Konzepten der Community Nurse sowie im Ausbau von Telenotarzt und First Responder Systemen sieht er großes Potenzial. Die Aufgabe des „Ärztlichen Leiter Rettungsdienst“ sieht er als organisationsunabhängige Funktion im Kompetenzbereich jedes Bundeslandes.
Im Sinne einer Qualitätssicherung erachtet er es zudem als notwendig, eine österreichweit einheitliche Dokumentation zu etablieren (DIVI-Standard, MIND-A), standardisierte Abfragesysteme zur Unterstützung der Leitstellen zur Verfügung zu stellen, ein unabhängiges ärztliches und rettungsdienstliches Qualitätsmanagement zu schaffen, an internationalen Registern teilzunehmen (z.B. Reanimation, Trauma, STEMI, Stroke) und Lehrstühle für die präklinische Notfallmedizin einzurichten.
Zahlreiche weitere Ideen und Forderung
Zusätzlichen wurden in einer Podiumsdiskussion unter Einbindung des Publikums auch Forderungen nach einer besseren Ausstattung der Fahrzeuge, mehr Arbeitnehmer:innen-Schutz, der Schaffung von Forschungsmöglichkeiten, sowie einer Neuauflage der Verrechnung von Einsätzen und damit bundesländerübergreifende Regelungen formuliert.
Das Sanitätergesetz ist bereits in die Jahre gekommen. Anlässlich einer Veranstaltung im Juni 2022 zu 20 Jahre SanG wurde seitens des zuständigen Ministers eine Überarbeitung des Gesetzes im Jahre 2023 zugesagt, ein Evaluierungsbericht durch die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) soll im ersten Quartal 2024 vorliegen. Auch ein Ausbau von Ausbildungsinhalten und Durchlässigkeit der Ausbildung in andere Gesundheitsberufe würden dafür Sorge tragen, dass Menschen sich weiterentwickeln können ohne dem Gesundheitssystem verloren zu gehen. Dafür braucht es strukturelle und berufsrechtliche Änderungen.
Die Vorträge und eine Videoaufzeichnung der Veranstaltung sind unter folgendem Link abrufbar:
Fotos: Oliver Faerber